Prolog

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Gabel aus Auschwitz, Nachlass des israelischen Schriftstellers Yoram Kaniuk (1930–2013), fotografiert 2015
© Miranda Kaniuk

„Er fuhr mit der rechten Hand in die Tasche, machte eine Bewegung, als hätte er sich verbrannt, und zog schnell, als wolle er den Schmerz loswerden, eine verbogene, braunschwarze Gabel hervor. Es war die erbärmlichste Gabel, die ich je gesehen habe. Wenn Trauer und Gram keine menschlichen Gefühle wären, sondern sich in Essbesteck manifestierten, dann wäre diese Gabel Gott. (…) Ich fragte, warum er mir die Gabel zeigte, und er sagte: ‚Sie gehört Ihnen. ‚ Ich sah ihn an und fragte: ‚Aber wieso mir?‘ Er sagte: ‚Die Gabel ist aus Kanada, und sie gehört Ihnen!‘ Ich verstand, dass er die letzte Station vor der Gaskammer von Auschwitz meinte, und sah ihn fragend an. ‚Sie müssen sich irren‘, sagte ich, und er sagte: ‚Nein, ich irre mich nicht.‘ Ich wurde nervös, der Mann brachte mich aus der Fassung. Er sagte: ‚Ich erinnere mich, ich erinnere mich genau.‘ Ich blickte auf meine Hand mit der Gabel, die schon die meine geworden war. Ich wollte sie nicht, aber ich konnte sie auch nicht zurückgeben.“

In seinen Deutschland-Erinnerungen „Der letzte Berliner“ beschreibt der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk, wie ein alter Mann ihm nach einer Lesung in Deutschland eine Gabel aufdrängt.

© Micha Bar-Am/ Magnum Photos

© Micha Bar-Am/ Magnum Photos

Yoram Kaniuk,

1930 in Tel Aviv geboren, aber „zwischen Weimar und Buchenwald gezeugt“, ist Rebell und Außenseiter unter den israelischen Schriftstellern seiner Generation. Er schreibt, wie es ihm passt und worüber er will, jenseits aller Moden, Konventionen und Erwartungen. Voller Sehnsucht nach der deutschen Kultur, die sein Vater Moshé einst geliebt hat, sucht Kaniuk vergeblich, aber unermüdlich den offenen Dialog mit deutschen Schriftstellern.
Yoram Kaniuk ist Veteran des Unabhängigkeitskriegs 1948 und Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung. Er stirbt 2013 in Tel Aviv.